Sofia Burger - 1909-1998

Der Talisman

Mein Mann heißt Alfred. Damals als ich seinen Namen noch nicht kannte und er noch ein junger, flotter Mann und ich noch jünger, blond und schüchtern war, stand er an der Kasse eines Ladens und bediente gewandt und selbstsicher die Käufer, indem er die verschiedenen Geldscheine entgegen nahm, nach Bedarf das nötige Wechselgeld zurückgab und schließlich quittierte. Er sah seine Kunden nur kurz, aber höflich an und war sonst ganz seiner Arbeit hingegeben.

In diesem Laden war ich noch nie gewesen, ich stand also zum erstenmal vor dieser Kasse und gab zur Bezahlung ein Fünfmarkstück. Vier Mark hatte ich zu zahlen und eine Mark mußte ich zurückbekommen. Geschäftsmäßig griff der junge Mann in die Kasse, entnahm ein Markstück und sah mich an. Dabei ging eine fast unmerkliche, doch unverkennbare Veränderung seiner Haltung vor sich. Seine eben noch selbstsichere Miene verwandelte sich und er starrte mich an. Mir war, als ob ich gleichzeitig bis unter die Haarwurzeln errötete. Es war peinlich und doch, wie mir schien, so schön und beglückend. Zwei Augenpaare versenkten sich ineinander und waren einen Augenblick ganz einig. - Und wir waren uns doch fremd und kannten uns nicht.

Ihm kam das wohl sehr schnell zum Bewußtsein, denn alsbald besann er sich und versuchte, wieder kühl und geschäftsmäßig dreinzublicken. Ganz gelang es ihm nicht, jedenfalls legte er das Geldstück, das ich bekommen sollte, nicht wie sonst auf den Zahltisch, sondern sehr zart in meine Hand. Ich aber ging ganz verwirrt nach Hause und fand dort ein Geldstück in meiner Börse vor, das längst nicht mehr gültig war. Der junge Mann hatte mir ahnungslos eine ungültige Münze in die Hand gedrückt.

Die Münze wurde mein Talisman, den ich stets bei mir trug. Ich fühlte, daß er mir Glück bringen könnte, denn ich konnte den Blick nicht vergessen, der so peinlich und doch so beglückend mich getroffen hatte.

Eines Abends sprach mich auf der Straße ein junger Mann an und bat, mich begleiten zu dürfen. Schon wollte ich zornig abweisen, als mich ein Blick seiner Augen traf. Es waren die Augen des Mannes, der mir in jenem Laden eine Münze in die Hand gedrückt hatte, die wertlos war und doch als Talisman in meiner Tasche ruhte.

Ich war nicht mehr zornig, mir war eher, als ob jetzt die Stunde gekommen wäre, auf die ich, ob ich wollte oder nicht, immer gewartet hatte. Zusammen gingen wir die Straße entlang. Obwohl unbekannt und fremd, war er mir seltsam vertraut.

Als wir schließlich in der Ecke eines betriebsamen Kaffeehauses saßen und dort belanglose und doch für mich so erregende Worte wechselten, fühlte ich, daß diese junge Mann vielleicht das Schicksal meines Lebens werden würde. Diesem Gefühl, das mich wie eine Schwäche überwältigen wollte, mußte ich widerstehen und es kam ein sonderbarer Trotz über mich.

Jedenfalls bestand ich energisch darauf, für meine Person selbst zu bezahlen. Ich hatte dies kaum gesagt, als mir auch schon einfiel, daß ich kein Geld bei mir hatte, mit Ausnahme jener Münze, die aber wertlos war. Für mich war sie freilich von hohem Wert, denn sie war doch mein Talisman. Jetzt aber griff ich mechanisch nach dieser ominösen Münze und drückte sie der Bedienung in die Hand. Um keinen Preis wollte ich mir vor dem Mann eine Blöße geben, obgleich ich wußte, daß ich nun eine Betrügerin war und damit eine Schuld auf mich lud, die mich immer bedrücken würde.

Es war ein betriebsames Kaffee und viele Gäste riefen nach Bedienung. So war es nicht weiter verwunderlich, daß der Betrug nicht bemerkt wurde. - Der Talisman war nun dahin. Mir war, als ob damit auch das Glück geflohen wäre. Mürrisch ließ ich mich nach Hause begleiten, wortkarg und trotzig antwortete ich auf seine verlegenen Fragen. Er wußte nicht mehr, was er von mir denken sollte. Kühler wurde sein Wesen und fast war mir, als wir Abschied nahmen, daß er zu seinem geschäftsmäßigen, unpersönlichen Ton zurückkehrte, den er an seiner Kasse dort in jenem Laden so vortrefflich beherrschte.

Doch bevor er sich zum Heimgang wandte, erschütterte mich ein jäher Schreck und weinend gestand ich ihm meinen Betrug, aber auch mein Geheimnis, das sich um den Talisman rankte.

Nie habe ich einen froheren Menschen gesehen als Alfred, der herzlich lachend versicherte, daß ihm ein Stein vom Herzen gefallen sei. Es werde alles wieder zum Guten sich wenden, nur müsse ich ihm vertrauen.

Die wertlose Münze fand sich noch und wurde durch echtes Geld ersetzt. Sie aber, die wertlose und mir doch so unendlich wertvolle Münze besitze ich immer noch. In Silber gefaßt, hängt sie noch heute an meinem Halse, als Zeichen eines Glückes, das mir damals zuteil geworden ist und mich nicht verlassen hat.

 

Geschrieben für den Wettbewerb “Glücksmünze”

Sofia + Alfons Burger